Archiv der Kategorie: Herz und Zahlen – China

Wundeschöner Gesang von Y., tiefes Interesse und hoher Anspruch fordern den Maler heraus

Zeichen und Figuren

Zu einem chinesischen Lied arbeite ich an einer musikalischen Analyse: Entsprechend ihres Klangverhaltens werden Notengruppen zu musikalischen Figuren gruppiert. Letztere erhalten jeweils ein mit dem Pinsel ausgeführtes Zeichen. Diese Zeichen werden im musikalischen Raum positioniert, bewegen sich, überlagern sich, gehen ineinander über, etwa so, wie es das Bild Tien Shan zeigt

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Unterwasser

Mit B. habe ich gestritten – Musik lässt sich in ihrer notierbaren Struktur, die für Tonhöhen, Lautstärken, zeitliche Parameter und all ihre Zusammenhänge steht, reproduzierbar nach mit einem Regelwerk und doch assoziativ verallgemeinernd, also für viele gültig, darstellen. Ich verwies auf Ansätze bei Le Corbusier und Xenakis, Varese und L. Alcopley. Nein, sagte B., Musik ist ist nicht berechenbar, ist immer pures Gefühl.

B. hat mir dann ein Lied gesungen. Dieses Werk ist das erste Ergebnis unser künstlerischen Wette. Des Chinesischen nicht mächtig, und ohne Kenntnis des Liedtextes, habe ich ihrem chinesischen Chanson eine sanft-beeindruckende Ausdrucksform – schwebend, eintauchend, wie unter Wasser, gegeben, die zurückhaltend auch auf Strukturvorstellungen von Musik beruht. Das Gefühl jedoch bestimmt.

Es ist noch lange nicht entschieden, male weiter, sagt B.

First Sound

Die Suche nach der Bildlichkeit von Musik bedarf Komplizen. Stellen Sie sich ein Netzwerk von Musikliebhabern vor, die, gedeckt durch einen bildlichen Code, gemeinsam lernen, auf neue, assoziative Weise über Musik zu kommunizieren. Kinder, die von der Notenschrift nichts wissen wollen, aber Graffiti lieben. Musikschaffende, die für die Entdeckung neuer Klangwelten den alltäglichen Weg verlassen wollen/müssen/dürfen. Alte Menschen, die nicht mehr beginnen möchten, aber doch aus einem Schatz von Erfahrungen, neu verknüpft, schöpfen.

Eine meiner Komplizinnen ist Y., wir streiten über den rechten Weg zur Visualisierung von Klängen – intuitiv, emotional oder doch regelhaft beschreibbar, mathematisch abstrakt. Y., die Mathematikerin, bevorzugt den emotionalen Weg. Christian Kabuß, der Maler (und diplomierte Produkt-Designer), hält mit Notationsregeln dagegen. So schaffen wir beides – eine intuitive doch vermittelbare, mit den Anderen austauschbare Bildwelt.

Gegenstand unseres Streites ist ein Lied aus Y.s Heimat, China. Y. singt sehr schön, ihr Mann begleitet sie auf dem Klavier.

Dies ist das Werk des ersten Momentes, des ersten Tones des Liedes, das Yuanhui für mich gesungen hat. Das Integral einer Zeitspanne, eines Klanges. Um das Flüchtige des Augenblickes einzufangen, bekommt das großformatige Werk den Charakter einer Zeichnung. Die Flüchtigkeit beruft sich – für den aufmerksamen, analytischen Betrachter – auf wenige figurative Ankerpunkte. Begonnen mit Strukturen von Zeichenkohle auf dem rohen Malgrund aus Holz, stellt das Werk das sekundär verwendete Gesso als eigenständige, formal wirksame Malschicht heraus. Die Vollendung zum Ganzen dann im Wechselspiel von schwarzer Kreide und weißer Ölfarbe.

Struktur eines fernen schwebenden Liedes

Die mit dem Tafelbild „First Sound“ begonnene Geschichte spinnt dieses Werk weiter. Es geht der These des Künstlers nach (bzw. wird es in Zukunft tun), dass sich Musik in ihrer notierbaren Struktur, die für Tonhöhen, Lautstärken, zeitliche Parameter und all ihre Zusammenhänge steht, darstellen lässt – reproduzierbar nach einem Regelwerk und doch assoziativ verallgemeinernd, für viele gültig. Mir Mut machende Vorbilder für diesen Ansatz sind die Zusammenarbeit von Le Corbusier/Iannis Xenakis – beim Fensterdesign des Klosters La Tourette oder beim Phillips-Pavillon zur Weltausstellung in Brüssel 1958, die Zeichnungen von L. Alcopley zurr Musik Edgard Varèses und die auf Akustik gegründete Informationsästhetik Abraham B. Moles.

Das offene, unvollendete Werk, das ein Spielfeld der Möglichkeiten auslegt, wird hier als leichter schwebender Beginn vorgestellt. Mittel zur Darstellung dieser Unvollendetheit ist antikes, feines, halbdurchlässiges Papier vor Kohle-Gesso-Strukturen, das im Raster mit feinen Nägeln reversibel aufgebracht wurde. Struktur und Formen von Y.s Lied können auf dieser Folie erahnt, erarbeitet, erprobt werden. Dazu bedarf es eines Zukunftselementes – eines Zusammenhanges von Ausstellungssituation, Workshops und Performance. Komplizen der künstlerischen Forschung werden dann zusammenarbeiten, um klangliche Elemente und Figuren aus Y.sLied in Zeichnungen aufzeigen und ihre Formen, Wanderungen und Zusammenhänge im musikalischen Raum wie auf einem Schachbrett offenlegen. Dafür werden die durch das Papierraster markierten Leerstellen nach und nach mit Zeichnungen der Teilnehmer gefüllt und die Positionen und Zusammenhänge der Zeichnungen zueinander immer wieder verändert. Bild und Bildschaffende(r) warten auf diese Möglichkeit der Entwicklung – nach Beendigung unserer aktuellen, bemerkenswerten Zeit.

61|208 68|2· 14|61 – Notational-grafische Präzision und warmherzige Intuition

Y. aus G. gab ein Privatkonzert in den Übungsräumen des Institutes. Vier beeindruckende chinesische Lieder aus verschiedenen Epochen mit einer Einführung in die Zahlennotation. Unsere Herausforderung: die Bildlichkeit des gewählten Lied zunächst über Musik, Sprachklang und Notation erschließen, dann erst geht es um eine Übertragung des Chinesischen. Mit der praktizierenden Mathematiklehrerin Y. und ihrem Mann C., Instrumentalist, gibt es einen besonderen Dialog zwischen der Präzision des CAD-Zeichnens und der malerischen Rauheit des Gesangs.